Thought Leaders Interview: David Geddes

By: Anika Müller / 27.11.2013

In den vergangenen Monaten haben wir in unserer Interview-Serie „Thought Leaders in PR Measurement“ Menschen vorgestellt, die die internationale Diskussion um Kommunikations-Controlling in verschiedenen Phasen geprägt haben. Im abschließenden Teil der Interview-Serie haben wir mit David Geddes, Gründer der Unternehmensberatung Geddes Analytics und Vorsitzender der Coalition for Public Relations Research Standards, Saint Louis/USA, gesprochen. Er berichtet im Interview von seinen fachlichen Erkenntnissen und persönlichen Erfahrungen, die er in den vergangenen Jahren in der Praxis des Kommunikations-Controllings gesammelt hat.

communicationcontrolling.de: Dr. Geddes, wann haben Sie angefangen, sich mit Steuerung und Evaluation von Kommunikation zu beschäftigen und warum interessiert Sie gerade dieses Thema?

David Geddes: Ich bin 1995 als Senior Vice President und Senior Partner bei Fleishmann-Hillard eingestiegen und habe die Leitung in der Kommunikations- und Medienforschung übernommen. Zuvor habe ich meinen MBA gemacht und bei Sprint, einem Telekommunikationsunternehmen, gearbeitet. In dieser Zeit haben sich in der Management-Praxis vermehrt Denkweisen durchgesetzt, die das Total-Quality-Management (TQM) und den Continuous-Improvement-Process (CPI), also die Bedeutung eines umfassenden Qualitätsmanagements und kontinuierlichen Verbesserungsprozesses, in den Fokus rückten. Diese Ansätze beruhen im Wesentlichen auf zwei Elementen. Zunächst sind die Ziele, Zielvorgaben und der Prozessablauf wichtig. Das zweite Element bezieht sich auf den Qualitätsprozess des Planens, Umsetzens, Überprüfens und Handelns, basierend auf einer kontinuierlichen Kontrolle über alle Phasen des Managementprozesses hinweg. Bei der Messung und Evaluation der Kommunikation werden diese TQM- und CPI-Prinzipien auf den Bereich der Public Relations angewendet.

Das vorliegende Interview ist Teil unserer zwölfteiligen Interviewreihe "Thought Leaders in PR Measurement". In dieser berichten Menschen, die die internationale Diskussion im Bereich Kommunikations-Controlling auf den Weg gebracht und in verschiedenen Phasen geprägt haben über ihre persönlichen Erkenntnisse und Erfahrungen.

cc.de: Warum sind Sie der Ansicht, dass Kommunikations-Controlling heutzutage für Organisationen essentiell ist?

Geddes: Anstatt des Begriffes „Kommunikations-Controlling“ verwende ich lieber die Begriffe „Kommunikations- und Medienforschung“ oder „Messung und Evaluation von Kommunikation“. Messdaten allein sind bedeutungslos. Zwar kann man messen, wie viele Kubikliter Wasser in den Rumpf eines sinkenden Schiffes fließen, das Schiff wird aber trotzdem untergehen. Die Kommunikations- und Medienforschung bildet die Grundlage für die Planung von Kommunikationsstrategien, Zielvorgaben und Taktiken. Diese Strategien sind wiederum an die Organisations- und Kommunikationsziele geknüpft und sollen für Wertschöpfung im Unternehmen sorgen. Bei der Messung und Evaluation von Kommunikation werden die Forschungsmethoden auf den Bereich der Public Relations übertragen. Bei meiner jährlichen Vorsorgeuntersuchung beim Arzt werden unter anderem mein Blutdruck und meine Cholesterin-Werte gemessen. Diese Messdaten sagen jedoch erst etwas aus, wenn mein Arzt sie mit meinen Werten des Vorjahres und denen eines gesunden Mannes meines Alters vergleicht. Das hilft dem Arzt wiederum beim Erstellen eines Ernährungs- und Sportplans, der auf meine gesundheitlichen Bedürfnisse zugeschnitten ist und leicht erhöhten Blutdruck und Cholesterin-Werten entgegenwirken soll. Gleichermaßen benötigen auch Public-Relations-Abteilungen entsprechende Forschung, Messung und Evaluation, um Kommunikationsprogramme zielgerecht zu planen, durchzuführen und die Ressourcen effizient zu verteilen.

cc.de: Was waren für Sie die wichtigsten Erkenntnisse und Wendepunkte bei der Beschäftigung mit dem Themenfeld Kommunikations-Controlling?

Geddes: Leider habe ich viele negative Erkenntnisse gewonnen. Dazu gehört die Einsicht, dass zu viele Public-Relations-Maßnahmen auf bloßen Mutmaßungen über Ursache und Wirkung basieren. Außerdem werden viel zu hohe Summen in die Messung von Kommunikations-Outputs investiert, während Ziele unzureichend formuliert, und auch die Outcomes bei der Messung vernachlässigt werden. Meiner Erfahrung nach wird die Kommunikation meist nur zusätzlich gemessen, um Erfolge nachzuweisen, statt dass die Messung in ein Kommunikationsprogramm integriert wird. Da man im Web 2.0 eine Vielzahl an Aktivitäten in Zahlen ausdrücken kann, hat sich diese Tendenz durch das Wachstum von Socia Media noch einmal verschärft. Leider haben aber nur wenige die notwendigen Kenntnisse der Kommunikationsforschung, um sinnvoll zu entscheiden, was überhaupt gemessen werden soll. Es besteht in der Tat eine große Bereitschaft, erfolgversprechende PR-Programme zu messen, in risikoreichen Situationen fürchtet man sich dagegen davor. Eine positive Erkenntnis ist dagegen, dass es tatsächlich geeignete Methoden gibt, Kommunikationsmaßnahmen und Outcomes in einem statistisch sicheren Verfahren zu verknüpfen. Von solchen Verfahren benötigen wir mehr.

cc.de: In der internationalen Forschung bestehen immer noch große Diskrepanzen zwischen der Wichtigkeit und der tatsächlichen praktischen Umsetzung von Kommunikations-Controlling. Auch wenn dies kontinuierlich bemängelt wird, scheint sich nichts zu ändern. Glauben Sie, dass es eine Lösung für dieses Dilemma gibt?

Geddes: Wenn ich der Geschäftsführer einer Public-Relations-Agentur wäre, würde ich von meinen General Managern, Account- und Teamleitern, und allen weiteren Führungskräften erwarten, dass sie die Messung, Steuerung und Evaluation von Kommunikation in ihren Accounts ausreichend berücksichtigen. Unsere Auftraggeber wüssten demnach, dass unsere Agentur ihr Augenmerk auf Kommunikations- und Medienforschung setzt. Die Messung und Evaluation von Kommunikation wäre außerdem Teil der jährlichen Leistungsbewertung meiner Mitarbeiter. Nicht jeder Auftraggeber wird ein Budget für Kommunikationsforschung bereitstellen, aber Agenturen müssen aufzeigen, welche Messungen durchgeführt werden können und welche Maßnahmen dabei notwendig sind.Wenn ich andererseits der Kommunikationschef eines Unternehmens wäre, würde ich meinen Führungskräften die gleiche Anweisung geben. Auch hier wären die Messung, Steuerung und Evaluation von Kommunikation ein Teil der jährlichen Leistungsbewertung. Die Budgets lassen vielleicht nicht immer die Umsetzung der Messung und Evaluation zu, aber als Kommunikationsmanager sollte man das Controlling durchgehend bedenken. Meine Mitarbeiter sollten auch von ihren Agenturen erwarten, dass diese die Messung und Evaluation von Kommunikation stets im Hinterkopf haben. Das sollte wiederum Bestandteil der jährlichen Agenturbewertung sein.

cc.de: Sind Sie der Ansicht, dass es möglich ist, internationale Standards zu entwickeln, die die Verbindung von Kommunikation und Organisationszielen und die Evaluation von Kommunikationsaktivitäten ermöglichen? Was sind die Vor- und Nachteile und wer könnte von solchen Initiativen profitieren?

Geddes: Zunächst würde ich gern den Unterschied zwischen einem „Standard“, wie er durch die Internationale Organisation für Normung (ISO) definiert ist, und Best-Practice-Beispielen für die Evaluation von Kommunikationsaktivitäten und die Verbindung von Kommunikation und Organisationszielen, verdeutlichen. Laut der ISO ist ein Standard eine „veröffentlichte Vorgabe, die einen gemeinsamen Sprachgebrauch festlegt, eine technische Spezifizierung oder andere konkrete Kriterien enthält, und einheitlich als Regel, Richtlinie oder als Definition genutzt werden soll.“ Standards ermöglichen uns eine gemeinsame Verständigungsbasis, um auch inmitten verschiedener Ansätze und Sichtweisen zusammenarbeiten zu können. Standards fördern die Vergleichbarkeit, Effizienz und Reliabilität und werden branchenübergreifend geteilt und genutzt. Für die Praxis der Public Relations hat solch eine Vergleichbarkeit wahrscheinlich den größten Nutzen. Standards sind notwendig, aber sie existieren noch nicht. Dazu haben David Michaelson und Don Stacks, beide sind Mitglieder der Measurement Commission des Institute for Public Relations, vor einiger Zeit einen Beitrag verfasst. Bei einem Best-Practice-Beispiel für die Evaluation von Kommunikationsaktivitäten und die Verbindung von Kommunikation und Organisationszielen wird dagegen viel umfassender dargestellt, wie man an die Messung und Evaluation herangegangen ist. Kommunikationsmessungen sollten auf Kommunikationstheorien und der kognitiven Psychologie basieren. Ein solides Messmodell sollte Elemente zu den Kommunikationsoutputs, zur Relevanz und zu Beziehungen, zu Bezugsgruppen und deren Verhalten umfassen. Letztlich sollen die Modelle dabei helfen, aufzuzeigen, welchen Mehrwert die Public-Relations-Aktivitäten in der Organisation schaffen. Solch einen Bezugsrahmen habe ich 2012 auf dem IPR-Kongress in Lima vorgestellt. Organisationen und Agenturen werden auf Basis ihrer Forschungskompetenzen die Möglichkeiten zur Messung und Evaluation weiter entwickeln, um gegenüber den Mitkonkurrenten einen Wettbewerbsvorteil aufzubauen. Es wird jedoch jeder davon profitieren – ohne Ausnahmen.

cc.de: Was ist Ihrer Ansicht nach in Zukunft die größte Herausforderung für das Kommunikations-Controlling?

Geddes: Als ich 2011 den Jack Felton Golden Ruler Award erhielt, habe ich in meiner Präsentation die zehn größten Herausforderungen für die Public-Relations-Forschung und für die Messung und Evaluation von Kommunikation skizziert. Vor diesen Herausforderungen stehen wir noch heute. Dazu gehört: (1) die Veröffentlichung einer gemeinsamen Theorie, basierend auf einem stabilen Bezugsrahmen, (2) die Entwicklung von Standardmetriken und die Förderung deren Verwendung, (3) die Entwicklung geeigneter statistischer Modelle in der Kommunikationsforschung, (4) die Öffnung der „Blackbox“ des Kommunikations-Controllings, (5) der Branche die Angst vor Kommunikationsmessungen nehmen, (6) die Betonung der empirischen Forschung anstatt einer „Einfach machen“-Attitüde, (7) Ausbildung und Training der PR-Praktiker zum Einsatz von Kommunikationsforschung, (8) die Annahme eines Ethik-Codex, (9) die Grenzen zwischen Public Relations und angrenzender Unternehmensfunktionen minimieren, und (10) der vorsichtige Gebrauch des Terminus’ „ROI“. Der Begriff ROI stammt aus der Verwaltung und der Finanzwirtschaft, der nur angewendet werden sollte, wenn Gelder investiert wurden und es Erlöse gibt. Kommunikationsergebnisse sind nicht zwangsläufig Return on Investment. Leider wird mit dem Begriff ROI viel zu leicht umgegangen. Wir verlieren dadurch an Glaubwürdigkeit.

cc.de: Vielen Dank für das Gespräch.


Über David Geddes


Dr. David Geddes ist Gründer der Unternehmensberatung Geddes Analytics LLC. Zuvor war Geddes als Vice President der Forschung & Entwicklung bei evolve24 und als Senior Vice President und Partner bei Fleishmann-Hillard tätig. Geddes ist Vorsitzender in der Coalition for Public Relations Research Standards. Von 2011 bis 2012 war er Vorsitzender der Commission on Measurement and Evaluation im Institute for Public Relations. David Geddes besitzt einen BA maga cum laude der Harvard University (USA), einen MBA der University of Kansas, einen DEA der Ecole des Hautes Etudes en Sciences Sociales (Frankreich, Paris), und einen PhD der University of Pennsylvania (USA).

Literaturtipps

Die englische Fassung des Interviews mit David Geddes finden Sie hier.

 

 


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