Thought Leaders Interview: Jim Macnamara

By: Anika Müller / 30.10.2013

Diese Woche steht uns Jim Macnamara, Professor für Public Communication an der University of Technology Sydney, für die Interview-Serie „Thought Leaders” Rede und Antwort. Der Mitgründer des Medienforschungsunternehmens CARMA International aus Sydney arbeitete vor seiner akademischen Laufbahn 30 Jahre in der Kommunikationspraxis. Er erklärt uns im Interview, warum Standards seiner Meinung nach in der PR längst überfällig sind und welche bedeutende Rolle die Ausbildung in der Kommunikation einnimmt.

communicationcontrolling.de: Professor Macnamara, wann haben Sie angefangen, sich mit Steuerung und Evaluation von Kommunikation zu beschäftigen und warum interessiert Sie gerade dieses Thema?

Jim Macnamara: Das war an einem ganz bestimmten Punkt – eine Art Erleuchtung, wenn man so will. Als Leiter der Public-Relations- und Marketingagentur MACRO Communications rief mich 1990 der CEO einer unserer größten Auftraggeber – Microsoft – an und sagte: „Jim, wir geben mehrere Millionen Dollar für euch im Jahr aus. Ich möchte einen Bericht, der zeigt, was wir für unser Geld bekommen.“ Ich erstellte daraufhin einen sehr, wie ich dachte, überzeugenden Report mit allen PR-Aktivitäten und den Dingen, die wir produziert haben und lieferte dem CEO diesen Report eine Woche später. Er sah sich den Bericht nur wenige Minuten an, gab ihn mir zurück und sagte: „Jim, mich interessiert es nicht, wie viel Arbeit ihr hattet oder was ihr produziert habt. Ich möchte wissen, wie sich das auf unser Kerngeschäft auswirkt.“ In diesem Moment wurden mir drei Grundsätze der PR-Evaluation bewußt. Dazu gehört zunächst einmal, dass die Kommunikation gemessen werden muss, ansonsten werden die Auftraggeber nicht weiter in PR investieren. Zweitens darf man sich bei der Messung nicht auf die Outputs konzentrieren, so wie es früher noch gebräuchlich war und ich es unserem Kunden auch aufgezeigt hatte, sondern man muss die Outcomes betrachten. Als dritter Punkt müssen diese Outcomes mit den Geschäfts- oder Organisationszielen des Kunden verknüpft werden. Während des Treffens mit dem CEO habe ich gemerkt, dass ich keine Ahnung davon hatte, wie ich überhaupt einen der drei Punkte bewerkstelligen soll. Aufgrund dessen habe ich in den Jahren 1992 bis 1993 einen Master-Studiengang im Bereich Medienforschung absolviert; 1994 war ich als Autor an einem Beitrag über Evaluation für die International Public Relations Association (IPRA) beteiligt. 1995 habe ich den Standort des globalen Medienforschungsunternehmens CARMA International in der Asien-Pazifik-Region aufgebaut. Seit 1997 konzentriere ich mich nun auf die Kommunikationsforschung. Ich habe einerseits meinen Ph.D. zu dem Thema gemacht und zum anderen innerhalb von zehn Jahren ein Geschäft aufgebaut habe, das sich speziell mit Medien- und Kommunikationsforschung beschäftigt. Dadurch habe ich viele Meetings in den Vorstandszimmern unserer Kunden geführt und es stellte sich heraus, dass die quantitative und qualitative Evaluation von PR-Outcomes vom Management zunehmend erwartet wurde.

Das vorliegende Interview ist Teil unserer zwölfteiligen Interviewreihe "Thought Leaders in PR Measurement". In dieser berichten Menschen, die die internationale Diskussion im Bereich Kommunikations-Controlling auf den Weg gebracht und in verschiedenen Phasen geprägt haben über ihre persönlichen Erkenntnisse und Erfahrungen.

cc.de: Warum sind Sie der Ansicht, dass Kommunikations-Controlling heutzutage für Organisationen essentiell ist?

Macnamara: Die Antwort auf diese Frage sollte jedem, der einen Kommunikations- und Medienstudiengang absolviert hat, ersichtlich sein. Ich bin dafür, dass sich jeder aus der PR-Branche, der Unternehmenskommunikation oder der Werbung in seinem Studium mit Kommunikationstheorien und der Kommunikations- und Medienforschung genau befasst haben sollte – und man nicht einfach nur PR- und Marketing-Kurse belegt. Wenn man sich mit der menschlichen Kommunikation auseinandersetzt, weiß man, dass die reine Informationsübertragung noch keine Kommunikation darstellt. Viele PR-Praktiker und Kunden nehmen das aber fälschlicherweise an. Sie denken, es genügt, ausreichend viele Informationen zu senden, um Aufmerksamkeit bei Menschen zu erzeugen. Natürlich wissen wir, dass das so nicht stimmt. Aus der Psychologie, der Semiotik, der Phänomenologie und anderen sozialkulturellen Theorien wie dem symbolischen Interaktionismus, der Strukturationstheorie und vielen weiteren Forschungsfeldern wissen wir, dass Menschen das Gesehene und Gehörte interpretieren, und das oft anders als der Sender beabsichtigt. Bei einem Kommunikationsprozess geht es mehr als nur um das, was gesendet, veröffentlicht oder verteilt wurde, sondern es geht darum, was in den Köpfen der Zielgruppen ankommt und was sie damit anstellen. Solange man kein Gedankenleser ist, muss man Forschungsarbeit betreiben, um herauszufinden, welche Wirkung eine PR-Aktivität hat. PR-Praktiker und Organisationen müssen begreifen, dass man nicht einfach von Wirkungen, besonders nicht von den beabsichtigten, ausgehen kann. Das Senden von Informationen ist nur ein Teil des Kommunikationsprozesses. Solange sie keine Evaluationsforschung betreiben, haben PR-Praktiker und Organisationen keine genaue Vorstellung davon, was ihre Zielgruppen denken, was sie glauben oder was sie tun – oder ob sie überhaupt etwas tun.

cc.de: Was waren für Sie die wichtigsten Erkenntnisse und Wendepunkte bei der Beschäftigung mit dem Themenfeld Kommunikations-Controlling?

Macnamara: Während der vergangenen 20 Jahre bin ich zu zwei wichtigen Erkenntnissen gekommen, die mich davon überzeugt haben, dass die Messung und Evaluation von Kommunikation nicht nur eine Sache von Messtools ist. Diese zwei Erkenntnisse – ich weiß nicht, ob es Einsichten oder Meinungen sind – reichen viel tiefgehender als das Wissen über die Messung von Kommunikation, da sie sich auf das grundlegende Verständnis von menschlicher Kommunikation beziehen. Ich bin durch meine Forschungsarbeit zu der Ansicht gekommen, dass ein großes Hindernis für die PR-Messung oder andere Formen öffentlicher Kommunikation im Verständnis der westlichen Länder wie den USA, Großbritannien oder Australien liegt. Dort wird noch immer weitestgehend die Auffassung vertreten, dass man mit „wissenschaftlichen“ Verfahren die Outcomes erreichen kann, die man beabsichtigt. Diese positivistische Wissenschaft führte zu Theorien über Massenmedien und Massenkommunikation, die annehmen, dass Medien, Regierungen und Organisationen mit ihren Botschaften die öffentliche Meinung formen und Menschen beeinflussen können, das zu tun, was sie von ihnen wollen. Der Modernismus und die damit verbundenen Traditionen wie der Behaviorismus haben die Macht der Massenkommunikation deutlich überschätzt, und auf der anderen Seite die Menschen, die widerstehen, ignorieren und interpretieren können, unterschätzt. Obwohl die Postmoderne mit ihrem poststrukturalen Denken, der kritischen Theorie und Disziplinen wie Cultural Studies die traditionelle, strukturalistische und behavioristische Denkweise stark in Frage gestellt hat, ist die Denke der Geschäfts- und Staatswelt heutzutage in erster Linie noch immer traditionell. Man glaubt noch immer an die Macht der Massenmedien und Massenkommunikation. Aber warum ist das wichtig oder relevant? Es ist wichtig, weil man diesem Denkansatz zufolge keine Notwendigkeit sieht, die Effektivität von Werbung und PR-Kampagnen präzise zu messen. Man nimmt unmittelbar an, dass die Werbe- und PR-Aktivitäten wirken. In solch einem Verständnis wird Kommunikation in erster Linie als Informationsübermittlung wahrgenommen – auch wenn Medienwirkungsforschung, Publikumsforschung und psychologische Theorien wie die kognitive Dissonanz die meisten Annahmen über die Macht der Massenmedien in Frage gestellt haben. Social Media treibt nun den letzten Nagel in den Sarg der abwärtslaufenden, linearen Auffassung von Kommunikation. Diese Erkenntnisse deuten darauf hin, dass wir uns zunächst der Ausbildung der PR-Praktiker, der Umkehr im Verständnis von menschlicher Kommunikation und der Rolle der Medien widmen müssen, bevor Praktiker und Auftraggeber die Notwendigkeit von Kommunikations-Controlling einsehen.

cc.de: In der internationalen Forschung bestehen immer noch große Diskrepanzen zwischen der Wichtigkeit und der tatsächlichen praktischen Umsetzung von Kommunikations-Controlling. Auch wenn dies kontinuierlich bemängelt wird, scheint sich nichts zu ändern. Glauben Sie, dass es eine Lösung für dieses Dilemma gibt?

Macnamara: Standards sind ein wichtiger Schritt nach vorn. Aber auch die Ausbildung ist ein entscheidender Bereich, um Veränderungen einzuleiten. Ich meine mit Ausbildung nicht nur die Bachelor- und Masterprogramme an den Universitäten, obwohl ich stark dafür bin, dass sich mehr Kurse mit der menschlichen Kommunikation und aktuellen Themen rund um die Medien beschäftigen sollten. Gezielte Weiterbildungsprogramme sollten zusätzlich das Wissen der Praktiker auf den neuesten Stand bringen und handwerkliche Fähigkeiten wie das Schreiben von Pressemitteilungen schulen. Außerdem würde ich mir wünschen, dass Kommunikationswissenschaftler und professionelle PR-Institute mehr mit Wissenschaftlern und Instituten aus der Wirtschaft interagieren, um das Verständnis für Kommunikation im Management von Organisationen zu stärken. Solange PR-Praktiker und Kunden Kommunikationswirkungen als zufällig und unbeständig begreifen, sehen sie die Messung der Kommunikation nicht als zwingend erforderlich an.

cc.de: Sind Sie der Ansicht, dass es möglich ist, internationale Standards zu entwickeln, die die Verbindung von Kommunikation und Organisationszielen und die Evaluation von Kommunikationsaktivitäten ermöglichen? Was sind die Vor- und Nachteile und wer könnte von solchen Initiativen profitieren?

Macnamara: Standards sind ein sehr wichtiger Teil aller beruflichen Professionen. Buchhalter, Juristen, Ärzte, Krankenschwestern, Architekten, usw. – alle arbeiten mit Standards. Dass das Berufsfeld der PR solange gebraucht hat, um Standards zu entwickeln, ist überraschend und beunruhigend. Standards zu besitzen, bedeutet nicht gleich eine Standardisierung, die den Wettbewerb, Entwicklung, Innovation und individuelle Lösungen womöglich bremst. Ärzte und Krankenpfleger arbeiten beispielsweise mit strikten Standards, aber das heißt nicht, dass sie nicht auf die Bedürfnisse der Patienten, deren persönliche Umstände und individuelle Behandlungen eingehen können. Der Zweck und die Vorteile von Standards liegen darin, ein grundsätzliches Maß an Mindestanforderungen zu etablieren, die auch notwendig sind, um eine gewisse Qualität und Integrität in der Praxis sicherzustellen. In der PR können Standards dafür sorgen, angemessene Methoden – aber auch unangebrachte Methoden wegen ihrer fehlenden Reliabilität oder Validität – zu identifizieren und eine einheitliche Terminologie bereitzustellen, sodass Auftraggeber Angebote verstehen und nicht durch die vielen Termini verwirrt werden. Standards sind in der PR schon lange überfällig, da hier eine Vielzahl von Begriffen existiert, die vielseitig verwendet werden. Was die Verbindung von Kommunikation und Organisationszielen angeht, besteht eine beträchtliche Unschärfe bei Begriffen wie „Engagement”, „Influence” und „Impact”. Manche PR- und Werbeagenturen ordnen „Clickthroughs” beispielsweise unter Engagement ein, was meiner Meinung nach eine sehr oberflächliche und abstruse Interpretation ist. Der einzige Nachteil von Standards ist, dass man damit unseriöse Methoden und Praktiker offenlegt – aber es wird höchste Zeit, dass das passiert.

cc.de: Was ist Ihrer Ansicht nach in Zukunft die größte Herausforderung für das Kommunikations-Controlling?

Macnamara: Es gibt eine zentrale Herausforderung und das ist die Ausbildung. Wir haben bereits genügend Tools, um die Kommunikation zu messen. Dazu gehören einerseits sozialwissenschaftliche Methoden wie zum Beispiel Umfragen, Interviews und Fokusgruppen sowie eine breite Palette an speziellen Tools und Services wie Medieninhaltsanalysen und Internet- bzw. Social-Media-Kennzahlen. PR-Praktiker müssen fundiert ausgebildet werden, und auch im Beruf ist die Weiterbildung wichtig. Aber nicht nur die Ausbildung der PR-Praktiker ist entscheidend. Die Auftraggeber müssen ebenso über Kommunikation aufgeklärt werden. Wenn sie das nicht in ihren MBAs, Finanz-, Accounting-, Handels- oder Marketing-Abschlüssen erlernen, müssen Kommunikationstrainings in die Personalentwicklungsprogramme aufgenommen werden. Ich bin mir sicher, dass ein “How-to-Kurs” über das Thema “Wie ich Überflüssiges in der PR und im Marketing erkenne und beseitige” viele Manager anspricht und sie in Richtung PR Measurement leiten würde.

cc.de: Vielen Dank für das Gespräch.


Über Jim Macnamara

Jim Macnamar, Ph.D., ist Professor für Public Communication an University of Technology in Sydney. Vor seiner akademischen Laufbahn arbeitete er 30 Jahre in der Kommunikationspraxis, u.a. in den Bereichen Journalismus, Public Relations und Medienforschung. Jim Macnamara ist für seine Arbeit im Bereich der PR-Evaluation international anerkannt. Seine aktuelle Forschungsarbeit beschäftigt sich mit Social Media sowie mit aufstrebenden Modellen und Paradigma in der PR. Jim Macnamara veröffentlichte Artikel in Fachjournalen der Sozialwissenschaften, des Journalismus, der Cultural Studies und Public Relations und ist Autor von zwölf Büchern, die sich unter anderem mit der Messung und Evaluation von Kommunikation auseinandersetzen.

Literaturtipps:

  • Macnamara, Jim (2012): Public Relations Theories, Practices, Critique. Sydney: Pearson.

Die englische Fassung des Interviews mit Jim Macnamara finden Sie hier.


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