Die unsichtbaren Dritten – Einfluss des Meinungsklimas auf PR-Wirkungen

Von: Maren Eitel / 19.12.12

In seiner Dissertation, die im Januar 2013 im Verlag Springer VS erscheint, erweitert Prof. Michael Bürker (MHMK Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation) das Wirkungsstufenmodell um eine neue Dimension, ergänzt in seiner Definition von PR das Meinungsklima im Umfeld der Stakeholder und stellt ein Modell vor, welches diesen Ansatz für das Kommunikationscontrolling nutzbar macht.

Dieses Abstract bietet bereits einen Vorgeschmack auf die Inhalte. communicationcontrolling.de hat mit ihm darüber gesprochen.

cc.de: Herr Bürker, Ihre Dissertation trägt den Titel „Die unsichtbaren Dritten“. Wer sind diese Unsichtbaren und inwiefern beeinflussen sie die Wirkungen von Public Relations?

Bürker: Dass sich Menschen in der Öffentlichkeit anders verhalten, als wenn sie sich unbeobachtet fühlen, gehört zum Grundschatz menschlicher Erfahrung. Die Orientierung an den Gesprächspartnern oder der Gruppe hilft, Beziehungen und Zusammenhalt durch Kommunikation zu stärken. Mit dem Entstehen der Massenmedien ist eine weitere Einflussgröße hinzugekommen: das anonyme Publikum auf der Galerie in der Arena der öffentlichen Kommunikation. 

Welche Themen Menschen für relevant halten, über welche Themen sie miteinander sprechen, und wie sie darüber denken, wird maßgeblich dadurch beeinflusst, wie sie diese „unsichtbaren Dritten“ einschätzen. In der Medien- und Kommunikationsforschung ist das nicht neu. Eine ganze Reihe von Thesen zu Medienwirkungen beruhen auf dieser Annahme: z.B. Agenda Setting, Koorientierung, Schweigespirale, Third Person Effect und Pluralistic Ignorance. Ihnen ist gemeinsam, dass die Wahrnehmung des Themen- und Meinungsklimas bei Dritten die eigene Wahrnehmung beeinflusst. Dies gilt insbesondere in allen Lebensbereichen, die der eigenen, persönlichen Erfahrung entzogen sind. Die PR erzielt ihre Wirkung dann über die Beeinflussung dieser Klimawahrnehmung – unter einer Bedingung: Die Kommunikation muss in der Öffentlichkeit stattfinden.

cc.de: Die Einwirkung des Meinungsklimas bilden Sie in der Dimension „outclime“ ab, um die Sie das DPRG/ICV-Wirkungsstufen-Modell ergänzen. Inwiefern hat dieser Aspekt bisherigen Modellen und Ansätzen gefehlt? 

Bürker: Ein Verdienst des Wirkungsstufen-Modells von DPRG und ICV ist, die Betonung der „outcome“-Ebene der Kommunikationswirkungen bei den Zielgruppen von Unternehmen und Organisationen. Damit wird die Beschränkung von PR-Evaluation und Kommunikationscontrolling auf die „output“-Ebene der Medien überwunden. Im Gegensatz zum amerikanischen Measurement-Modell bei Lindenmann wird allerdings nicht zwischen der Wahrnehmung von Kommunikationsaktivitäten und der kumulierten Wahrnehmung unterschieden. Und es fehlt das Bindeglied zwischen beiden Wirkungsstufen: die Wahrnehmung der Themenagenda und des Meinungsklimas in den Bezugsgruppen der Stakeholder und der gesellschaftlichen Öffentlichkeit. 

Hinzu kommt, dass Veränderungen bei Image und Reputation als Schlüsselgrößen von PR und Unternehmenskommunikation nicht allein den eigenen Kommunikationsaktivitäten zugerechnet werden können. Beide werden maßgeblich durch eigene Erfahrungen der Stakeholder sowie die Kommunikation von Dritten beeinflusst. Dazu zählen neben medialen Meinungsbildnern wie Journalisten und Bloggern insbesondere Bezugspersonen im persönlichen Umfeld der Stakeholder. Dies wird durch die neuen sozialen Medien weiter verstärkt. Dort wird das Meinungsklima durch die Vernetzung von Kommentaren, Bewertungen und Empfehlungen sogar direkt sichtbar. 

Das Wirkungsstufenmodell ergänzt um die Stufe "Outclime"

cc.de: Was ist das Neue und Besondere an Ihrer modifizierten Definition von PR?

Bürker: Der Trend in Theorie und Praxis geht in Richtung einer Auf- bzw. Ablösung des Begriffs Public Relations durch Unternehmenskommunikation bzw. Kommunikationsmanagement. Dies geht in zweifacher Weise an der Wirklichkeit in den Unternehmen vorbei: Zum einen ist es der PR nicht gelungen, ihren selbst gestellten Führungsanspruch im Kommunikations-Mix zu erobern. Zum anderen geht im Begriff der Unternehmenskommunikation der Aspekt der Öffentlichkeit verloren. Ein erheblicher Teil der Stakeholder-Kommunikation findet gerade nicht öffentlich bzw. unter Ausschluss eines Teils der Öffentlichkeit statt. Für den Teil der Kommunikation, der öffentlich stattfindet, hat die Unternehmenskommunikation aber nur einen Begriff parat: Public Relations. Meine These lautet: Das war immer schon ihr Kern – was sich auch in den begrifflichen Komponenten „public“ und „relations“ zeigt. 

PR hat dann die Funktion, die Verträglichkeit der wechselseitigen Wahrnehmungen zwischen Unternehmen und ihren Stakeholder-Gruppen zu koordinieren. In einem größeren gesellschaftlichen Kontext steuert sie die Abstimmung von Fremdbild und Klimawahrnehmung. 

cc.de: Mit dem Meinungsklima-/Koorientierungsmodell schlagen Sie vor, Einstellungen und Klimawahrnehmungen der Stakeholder systematisch zu vergleichen. Welchen Vorteil besitzt das dadurch gewonnene Ergebnis gegenüber anderen Operationalisierungen?

Bürker: Der klassische Steuerungsansatz arbeitet mit der Differenz zwischen Selbst- und Fremdbild. In den Transaktionsbeziehungen mit primären Stakeholdern ist dies nach wie vor relevant. Aber in dem Maße, in dem die Öffentlichkeit die Themenagenda und Meinungsbildung dominiert, gewinnt die Wahrnehmung des Meinungsklimas die Oberhand. Die Selbstbeschreibung von Unternehmen spielt dann praktisch keine Rolle mehr – jedenfalls hat sie kaum noch Einfluss. Am deutlichsten tritt dies in der Krisenkommunikation zu Tage. 

Außerdem basiert die Klimawahrnehmung ausschließlich auf Kommunikation. Woher sonst sollten Menschen wissen, worüber und wie andere denken? Image und Reputation sind dagegen auch erfahrungsgetrieben. Die Klimawahrnehmung ist also sowohl eine aussagekräftige, als auch realistischere Ziel-, Wirkungs- und Steuerungsgröße für die Unternehmenskommunikation.

cc.de: Wie kann die praktische Umsetzung des Meinungsklima-/Koorientierungs-Modells aussehen und wird Medienbeobachtung dadurch überflüssig?

Bürker: Klassische Medienbeobachtung misst lediglich formale und inhaltliche Aspekte medialer Kommunikation. Sie abstrahiert von den realen Mediennutzern und unterstellt einen „idealen“ Leser, Zuhörer oder Zuschauer, den es so in der Realität kaum geben wird. Was Menschen lesen, was sie verstehen, wie sie darüber denken, und was sie im Anschluss bereit sind zu tun oder ggf. tatsächlich tun, hängt nicht allein von den Medieninhalten ab. Im Extremfall sind sie irrelevant. Oder wie Friedemann Schulz von Thun es ausgedrückt hat: „Die Botschaft ist ein Machwerk des Empfängers“. 

Im Zeitalter von Social Media spielen die klassischen Medien ohnehin eine abnehmend wichtige Rolle. Sie werden durch By-Pass-Strategien sowohl von den Unternehmen als auch vom aktiven Publikum umgangen. Doch auch Web- und Social-Media-Monitoring liefern nur Indikatoren. Zugleich unterliegen die sichtbaren Aussagen in den sozialen Netzwerken einem generellen Inszenierungsvorbehalt. Was Menschen wirklich denken kann etwas völlig anderes sein. Denn auch hier wirkt Öffentlichkeit – also das Wissen um die Wahrnehmbarkeit dessen, was gesagt wird – auf die Redebereitschaft bzw. Schweigetendenz zurück. Wer erfahren möchte, wie das Klima wahrgenommen wird, muss auch weiterhin danach fragen. Erfahrungen mit so genannten Informations- oder Prognosemärkten („Prediction Markets“) zeigen allerdings, dass dafür weder repräsentative, noch besonders große Stichproben notwendig sind.

cc.de: Vielen Dank für das Gespräch.


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