Thought Leaders Interview: James E. Grunig

Von: Marie-Theres Gohr/ 24.04.2013

Vor einer Woche wurde an dieser Stelle die neue Interview-Serie „Thought Leaders in PR Measurement” angekündigt. Sie beginnt diese Woche mit einem Gespräch mit James E. Grunig, der Mitte der 70er-Jahre einer der ersten Forscher war, der sich mit der Steuerung und Evaluation von Kommunikation befasst hat.

communicationcontrolling.de: Professor Grunig, wann haben Sie angefangen sich mit Steuerung und Evaluation von Kommunikation zu beschäftigen und warum interessiert Sie gerade dieses Thema?

James E. Grunig: 1975 kontaktierte mich AT&T und bat mich darum ein System zu entwickeln, mit dem jede der regionalen Telefongesellschaften ihre Kommunikation messen kann. Es wurde fortan als Bell System bezeichnet, wobei die Telefongesellschaften heute kleine eigenständige Unternehmen sind. Im Zuge dieses Auftrages haben Jim Tirone von AT&T und ich eine Reihe von verschiedenen Zielen und Maßnahmen zur Evaluation der Kommunikationsprogramme der jeweiligen Telefongesellschaften entwickelt. Wir haben dabei fünf Aspekte betrachtet: Medienarbeit, Beziehungen zur Öffentlichkeit, Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Beziehungen, Ausbildungsanstrengungen und Werbung. Im Rahmen der intensiven Auseinandersetzung mit dem Themenbereich haben Tirone und ich 1977 dann eine erste Konferenz zur Effektivitätsmessung von Public Relations an der Universität Maryland organisiert. Nähere Erläuterungen zum AT&T Messsystem und den auf der Konferenz präsentierten Ergebnissen befinden sich in einer speziellen Ausgabe des Public Relations Review, genauer gesagt in Heft Nummer 4 des Jahres 1977. Meine Erfahrungen habe ich zudem in zwei Kapitel des Lehrbuchs „Managing Public Relations“ einfließen lassen: “Goals and Objectives” und “Evaluation Research”. Ab 1985 habe ich mich im Rahmen des IABC Excellence-Projektes dann mit der übergeordneten Ebene der organisationalen Effektivität beschäftigt. Das Thema Steuerung und Evaluation von Kommunikation interessiert mich besonders, weil es sich dabei um eine notwendige Bedingung für das strategische Management von Public Relations sowie den Beitrag von Public Relations für das strategische Management von Organisationen handelt.

Das vorliegende Interview ist Teil unserer zwölfteiligen Interviewreihe "Thought Leaders in PR Measurement". In dieser berichten Menschen, die die internationale Diskussion im Bereich Kommunikations-Controlling auf den Weg gebracht und in verschiedenen Phasen geprägt haben über ihre persönlichen Erkenntnisse und Erfahrungen.

cc.de: Warum sind Sie der Ansicht, dass Kommunikations-Controlling heutzutage für Organisationen essentiell ist? 

Grunig: Zunächst möchte ich festhalten, dass ich die Begriffe Kommunikationsforschung und -evaluation dem Begriff Messen bzw. Kommunikations-Controlling vorziehe, weil Kommunikationsforschung Konzeption, Messung, Grundlagenforschung und evaluierende Forschung umfasst. Das von mir und Jeong-Nam Kim, von der Purdu University in Indiana, durchgeführte Exzellenz-Projekt und die entsprechende Exzellenz-Forschung zeigen, dass der Forschungsumfang im Bereich Public Relations in starker Verbindung mit Ansehen und Wertschätzung der Kommunikationsfunktion durch entsprechende Manger steht. Deshalb vertrete ich die Ansicht, dass Forschung integraler Bestandteil von strategischer Kommunikation ist. Ohne Forschungsanstrengungen wird Kommunikation in der Rolle des Botschafters verbleiben und keine strategische Rolle übernehmen. Um tatsächlich Teil des strategischen Managements zu werden, müssen Kommunikationsmanager eindeutige Informationen haben, die das Management in seiner Funktion unterstützen. Forschung ist in der Lage diese Informationen zu liefern. 

cc.de: Was waren für Sie die wichtigsten Erkenntnisse und Wendepunkte bei der Beschäftigung mit dem Themenfeld Kommunikations-Controlling?

Grunig: Meine erste wichtige Erkenntnis erlangte ich während der Arbeit mit AT&T, als Jim Tirone und ich feststellten, dass nicht eine allgemeine Messung den tatsächlichen Wert von Public Relations zeigen kann, sondern dass wir die einzelnen Kommunikationsprogramme separat evaluieren müssen. Zu dieser Zeit habe ich auch realisiert, dass Kommunikationsmanager sich aus einer Reihe von Zielen bedienen können, die sich wiederum aus den Erkenntnissen der Kommmunikationsforschung ableiten lassen. Dazu zählen Kommunikation mit Teilöffentlichkeiten, gezielte Verbreitung von Informationen, Akzeptanz von Erkenntnissen, Einstellungsbildung und -änderung sowie Verhalten. All diese Aspekte sind sowohl bei Mitgliedern einer Organisation bezüglich der Informationen, die von Teilöffentlichkeiten an die Organisation herangetragen werden, als auch bei Mitgliedern von Teilöffentlichkeiten, die Informationen von einer Organisation erhalten, zu beobachten. Eine weitere wichtige Erkenntnis erhielt ich während des Exzellenz-Projektes. Dort habe ich realisiert, dass wir über die Evaluation von Kommunikationsprogrammen hinausgehen können und den Wert der Public Relations-Funktion für Gesellschaft und Organisation konzipieren und evaluieren können, indem wir die Qualität der Beziehungen zwischen Organisation und Gesellschaft messen. 

cc.de: In der internationalen Forschung bestehen immer noch große Diskrepanzen zwischen der Wichtigkeit und der tatsächlichen praktischen Umsetzung von Kommunikations-Controlling. Auch wenn dies kontinuierlich bemängelt wird, scheint sich nichts zu ändern. Glauben Sie, dass es eine Lösung für dieses Dilemma gibt? 

Grunig: Ich habe über die Jahre immer wieder versucht zu erforschen, warum sich Praktiker so verhalten, wie sie sich verhalten. Viele von uns untersuchte Variablen hatten jedoch nur geringes Erklärungspotenzial. Die einzige Variable, die konsistent erklärt, warum sich Kommunikationspraktiker so verhalten, ist ihr Wissenslevel. Einfach gesagt, Menschen machen nur das, von dem sie wissen, wie sie es tun müssen. Die meisten Praktiker wissen nicht, wie sie Kommunikations-Controlling durchführen, auch wenn ihnen klar ist, dass es äußerst relevant ist. Auch die Beschäftigung und der effektive Einsatz von externen Partnern ist ohne vorhandenes Wissen zum Thema schwierig. Dies trifft ebenso auf die Erläuterung der Wichtigkeit und des Wertes gegenüber Managern oder Kunden zu. Die Lösung für dieses Dilemma ist gezielte Ausbildung. Kommunikationsprofis müssen in Studiengängen oder entsprechenden Weiterbildungsprogramme lernen, wie Kommunikations-Controlling funktioniert und wie man es selbst praktiziert. 

cc.de: Sind Sie der Ansicht, dass es möglich ist internationale Standards zu entwickeln, die die Verbindung von Kommunikation und Organisationszielen und die Evaluation von Kommunikationsaktivitäten ermöglichen? Was sind die Vor- und Nachteile und wer könnte von solchen Initiativen profitieren?

Grunig: Ich bin der Ansicht, dass es möglich ist internationale Standards zu entwickeln. Genau genommen habe ich das bereits 1984 in meiner Publikation „Managing Public Relations“ getan, indem ich Ziele und Maßnahme konzipiert sowie die quantitative und qualitative Messung dieser beschrieben habe. Das Exzellenz-Projekt hat darüber hinaus die Wichtigkeit der Beziehung zu Teilöffentlichkeiten und deren Messung definiert und gezeigt, dass sie die Reputation einer Organisation maßgeblich beeinflussen. Diese Konzepte und Messungen sind gut durchdacht und international anwendbar. Aber auch andere Wissenschaftler haben Konzepte und Vorgehensweisen entwickelt, die international adaptiert werden können. Auch wenn ich nicht die Ansicht vertrete, dass es sinnvoll ist jedem ein einheitliches Konzept oder Schema aufzuzwingen, glaube ich daran, dass wir es durch vorhandene Konzepte und konstruktive Zusammenarbeit schaffen können, wichtige Aspekte auf die gleiche Art und Weise zu verstehen, zu definieren und zu messen. 

cc.de: Was ist Ihrer Ansicht nach in Zukunft die größte Herausforderung für das Kommunikations-Controlling? 

Grunig: Die größte Herausforderung ist es Kommunikation als strategische Management-Funktion zu etablieren. Wenn Wissenschaft und Praxis dies verinnerlichen, ergeben sich Messung und Evaluation ihrer Wirksamkeit automatisch. Geschieht dies nicht, wird die Organisationskommunikation immer damit zu kämpfen haben ihren Wert unter Beweis zu stellen, statt innovative und effektive Konzepte zur Zusammenarbeit mit Management und Teilöffentlichkeiten zu entwickeln. 

cc.de: Vielen Dank für das Gespräch.

Über James E. Grunig

James E. Grunig ist emeritierter Professor für Public Relations an der Universität Maryland, USA. Er ist Autor und Co-Autor von sechs Büchern zum Thema Public Relations und hat 242 Artikel, Bücher und Forschungsberichte zum Thema veröffentlicht. Bekannt wurde er unter anderem durch die Leitung des 15-jährigen Forschungsprojektes „Excellence in Public Relations and Communication Management“, das heute weltweit zitiert wird. James E. Grunig wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Dazu zählen beispielsweise der Arthur W. Page Society Distinguished Service Award, der Pathfinder Award für Exzellenz in der PR-Forschung, der Outstanding Educator Award der Public Relations Society of America (PRSA), der Jackson und Wagner-Award für Verhaltensforschung, die Alexander Hamilton Medaille, der Lloyd Dennis Award für bemerkenswerte Führung im Bereich Public Affairs und der Dr. Hamid Notghi- Preis für besondere Leistungen in der PR. Besonders erwähnenswert ist zudem der Erhalt des renommierten Paul J. Deutschmann Awards der Association for Education in Journalism and Mass Communication (AEJMC). Überdies wurde James E. Grunig von der Universidad San Martin de Porres, Peru, der Universität Bukarest und der Universität Istanbul die Ehrendoktorwürde verliehen.

Literatur-Tipp

Grunig, J. E. (2008). Conceptualizing quantitative research in public relations. In B. Van Ruler, A. Tkalac Verčič, & D. Verčič, (Eds.). Public relations metrics (pp. 88-119). New York and London: Routledge.

Die englische Fassung des Interviews mit James E. Grunig finden Sie hier.


--> zurück zu Praxiswissen.


deutsch english

Eine Initiative von:

Werbung