Social Media Monitoring in deutschen Unternehmen – Interview mit Anna-Maria Zahn

Von: Catharina Tasyürek / 17.09.2014

Social Media Monitoring ist in Deutschland weiterhin auf stetigem Wachstumskurs – der Großteil der Unternehmen nutzt entsprechende Evaluationsverfahren, um den Wertschöpfungsbeitrag der eigenen Aktivitäten im Social Web bestimmen zu können. Doch die hohe Anzahl und Vielfältigkeit der sozialen Netzwerke, erschweren standardisierte Verfahren und die Auswahl der auf die eigenen unternehmensinternen Bedingungen angepassten Tools. In dieser Situation kann es für ein Unternehmen sinnvoll sein, eng mit Experten und professionellen Dienstleistern zusammenzuarbeiten. communicationcontrolling.de hat mit Anna-Maria Zahn, fachliche Leiterin des Marktforschungs- und Beratungsunternehmen ForschungsWeb, über den Status Quo von Social Media Monitoring in Deutschland, über aktuelle Trends und über Erfahrungen ihrer täglichen Arbeit mit Unternehmen gesprochen.

cc.de: Frau Zahn, Sie beschäftigen sich beruflich hauptsächlich mit Social Media Monitoring und treiben die Themen Erfolgsmessung und Beobachtung von sozialen Medien aktiv voran. Wie ist Ihre Einschätzung, wo wir beim Monitoring-Thema heute in Deutschland stehen und wie bewusst das Thema mittlerweile in Unternehmen ist?

Anna-Maria Zahn: Heute stellt sich nicht mehr die Frage, nach dem, was Social Media Monitoring ist, sondern eher ob es und wie es für das eigene Unternehmen nützlich eingesetzt werden kann. Viele Unternehmen haben bereits Erfahrungen mit diesem neuen Instrument gesammelt. Andere sind gerade noch in der Startphase. In unserer Befragung von Social Media Monitoring-Anwender hatten sich lediglich 15 Prozent der Unternehmen noch nicht mit dem Thema beschäftigt. Daher kann man sagen, dass das Thema auf der Agenda der Unternehmen angekommen ist, auch wenn es längst noch nicht breit etabliert bzw. professionalisiert ist.

cc.de: ForschungsWeb hat sich zur Aufgabe gemacht, objektive und unabhängige Social Media Monitoring Beratung und Forschung zu leisten. Macht es überhaupt für jedes Unternehmen Sinn Social Media Monitoring zu betreiben? Welche wertvollen Informationen können Unternehmen via Social Media Monitoring erhalten?

Anna-Maria Zahn: Das ist die Eingangsfrage, die wir zum Start eines jeden Monitoring-Projektes zusammen mit unserem Kunden klären. Dies war auch einer der Beweggründe für mich, das ForschungsWeb zu gründen und aufzubauen. Es gibt zu viele Unternehmen die Social Media Monitoring betreiben, aber eigentlich gar keinen Nutzen daraus ziehen, weil sie keine wirklichen Ziele damit verfolgen. Die Gründe hierfür sind vielfältig.
Um den Nutzen des Social Media Monitorings für das Unternehmen herauszuarbeiten, sind im Idealfall mehrere Abteilungen involviert, weil die Analyse der Konsumentengespräche im Social Web eben nicht nur dem Social Media Manager, sondern auch der PR-Abteilung, dem Produktmanagement, dem Marketing oder auch der Marktforschung wertvolle Erkenntnisse liefern kann. In der Strategiekonzeption sollten dementsprechend für jede Abteilung die individuellen Ziele, die mit dem Monitoring erreicht werden können, diskutiert und abgestimmt werden.
Dabei ist es wichtig, die Erwartungen realistisch zu formulieren. Selbstverschuldet durch die blumigen Versprechungen der Monitoring-Anbieter, sind die Erwartungen in der Regel sehr hoch. Diese auf ein realistisches Maß herunter zu brechen und auf die konkreten Rahmenbedingungen des Unternehmens anzupassen, ist eine der größten Herausforderungen. Unsere Empfehlung ist es, das Potential des Monitorings für das eigene Unternehmen anhand der vorhandenen Social Media Kommunikation der verschiedenen Stakeholder-Gruppen (z.B. Kunden, Partner, Medienvertreter, potentielle Fachkräfte) zu bewerten. Dabei ist es wichtig, nicht nur die Kommunikation über das eigene Unternehmen zu betrachten, sondern auch das Kommunikationsvolumen zu den Wettbewerben und den Branchenthemen zu berücksichtigen. Erst wenn dieser Schritt getan ist, lässt sich einschätzen, ob Social Media Monitoring für das Unternehmen sinnvoll ist oder nicht.

cc.de: Wie bewerten Sie Initiativen wie den AMEC Social Media Measurement Framework User Guide, der Praktikern eine konkrete Hilfestellung an die Hand geben soll, Socia Media Aktivitäten adäquat zu messen? Kann der User Guide Ihrer Meinung nach Unternehmen beim Einstieg in ein professionelles Monitoring behilflich sein?

Anna-Maria Zahn: Das Framework der AMEC ist in der Weise nützlich, als dass dort sehr schön aufgezeigt wird, wie wichtig es im Rahmen der Social Media Erfolgsmessung ist, sich erst einmal über die Ziele der Social Media Aktivitäten des Unternehmens Gedanken zu machen. Wenn ich nicht weiß, was eine Facebook-Fanpage oder ein Youtube-Channel auf Unternehmensseite für einen Wertschöpfungsbeitrag leisten soll, kann ich weder den Grad der Zielerreichung noch den Grad der Effektivität der Zielerreichung bewerten. Social Media Monitoring hat für Unternehmen aber noch weit mehr Einsatzfelder als die reine Social Media Erfolgsmessung. In dem das Unternehmen Kundenmeinungen analysiert, Verbesserungsvorschläge findet oder gar Trends identifiziert, erhält es wertvolles Marktwissen, was zur Planung und Optimierung der verschiedensten Unternehmensaktivitäten eingesetzt werden kann. Damit ist Social Media Monitoring ein weiteres Datenerhebungsinstrument zur Gewinnung von wichtigen Insights, die dem Unternehmen helfen können, erfolgreicher agieren zu können.

cc.de: Trotz aller Fortschritte im Themenfeld liefert die aktuelle PwC-Studie „Wachstumsfaktor Social Media“ ernüchternde Ergebnisse: Nicht einmal 40 Prozent der Unternehmen kennen die Ziele ihrer Social Media Aktivitäten. Wo sehen Sie die größten Hürden in der Praxis bei der Etablierung eines professionellen Social Media Monitorings?

Anna-Maria Zahn: Social Media Erfolgsmessung ist nur ein Anwendungsfeld von Social Media Monitoring und andersherum ist Social Media Monitoring nur eine Datenerhebungsmethode für die Bestimmung des Erfolgs von Social Media Aktivitäten von Unternehmen. Kennzahlen wir Klickzahlen, Leads, Verkäufe, die auch zur Beurteilungen des Erfolgs von Social Media wichtig sind, kann man nur mit anderen Instrumenten wie z.B. der klassischen Webanalyse erheben. Daher sind die beiden Themen zwar eng mit einander verknüpft, aber dennoch aus meiner Sicht getrennt voneinander zu betrachten. So sind auch die Hürden der Social Media Erfolgsmessung und des Social Media Monitorings meiner Meinung nach durchaus andere. Die Erfolgsmessung scheitert – wie in vielen anderen Bereichen – vor allem daran, dass hierfür zu wenig Budget zur Verfügung gestellt wird. Häufig ist auch einfach keine Zeit für solche aus Sicht der Akteure zusätzlichen Tätigkeiten. In den meisten Fällen haben Social Media Manager ohnehin schon sehr, sehr viel zu tun. Zeit für Analyse und Reportings müssen dann mühsam erkämpft werden. Hinzukommt natürlich auch die Frage, wie transparent will man ein Thema machen, was sich eigentlich erst im Aufbau befindet?  Daher dienen viele Reportings in der Praxis eher dazu den eigenen Erfolg darzustellen und die Schwächen zu verschweigen, als ein realistisches, vollständiges Bild des Erfolgs darzustellen.
Zu wenig Ressourcen, fehlendes Know-how, interne Widerstände sind zwar auch Problemfelder, die beim Social Media Monitoring eine Rolle spielen. Aber hier kommen noch weitere hinzu. Weil die Anwendungsfelder von Social Media Monitoring so vielfältig sind und über das gesamte Unternehmen hinweg verbreitet sind, müssen in diesem Fall die Abteilungen noch mehr zusammenarbeiten, als bei anderen Themen. Diese abteilungsübergreifende Zusammenarbeit gestaltet sich in vielen Unternehmen jedoch relativ schwierig und daher entstehen in vielen Firmen Insellösungen. Wir haben schon Unternehmen beraten, die fast fünf Social Media Monitorings Tools in verschiedenen Stellen des Unternehmens aufgesetzt hatten. Hinzukommen weiter externe Problemfelder wie die geringe Transparenz am Markt, die fehlenden Standards in der Messmethodik und Datenerhebung sowie die schwierige Beurteilung der Qualität eines Monitorings, um nur einige zu nennen. 

Diese Grafik zeigt die internen und externen Herausforderungen bei der Etablierung von Social Media Monitoring, die in der Monitoring-Anwenderstudie von forschungsWeb erhoben wurden.

cc.de: Sehen Sie auch akuten Professionalisierungsbedarf auf Seiten der Toolanbieter?

Anna-Maria Zahn: Die Monitoring-Anbieter haben in den letzten Jahren – meistens in enger Zusammenarbeit mit ihren Kunden – durchaus Sprünge nach vorne gemacht. Das sieht man an der Funktionalität der Dashboards sowie der Breite der Einsatzfelder des Monitorings Tools.
Dennoch kann man noch nicht davon reden, dass die Branche ausreichend professionalisiert ist. Das sieht man beispielsweise am fehlenden einheitlichen Verständnis der Kernbegriffe des Social Media Monitorings oder an den fehlenden Standards für die Datenerhebung. Die BVDW Richtlinie zur Definition der Medientypen - die ForschungsWeb initiiert und aktiv vorangetrieben hat - ist zum Beispiel ein erster Vorstoß, diese Defizite zu beseitigen. Bis zu einem breiten branchenweiten Austausch zu weiteren wichtigen Punkte im Social Media Monitoring ist es jedoch noch ein langer Weg. Einen Anlaufpunkt soll die neue Initiative Digital Analytics und Monitoring im BVDW dafür bilden.

cc.de: Der Monitoring-Toolmarkt umfasst laut dem aktuellen Social Media Monitoring Tool Report von Goldbach Interactive über 300 Services. Da scheint es für Unternehmen fast unmöglich zu sein, die beste Anwendung für den eigenen Bedarf herauszufiltern. Welche Entscheidungskriterien können die Unternehmen anlegen?

Anna-Maria Zahn: Solche Zahlen halten wir durchaus für schwierig, weil nicht überall wo Social Media Monitoring drauf steht, auch wirklich Social Media Monitoring drin steckt. Das ist unsere Erfahrung aus unserer eigenen kontinuierlichen Evaluation der Anbieter. Die ernstzunehmenden Player am Markt sind aus unserer Sicht und auf den deutschen Markt bezogen daher durchaus weniger. Nichtsdestotrotz ist die Entscheidung der Anbieterauswahl aus den oben genannten Gründen sehr schwierig. Hier hilft nur ein auf die individuellen Ziele und Rahmenbedingungen angepasster Kriterienkatalog, um den Anbieter zu finden, der zu den eigenen Bedürfnissen am besten passt. Wir haben mittlerweile einen Kriterienkatalog, der mehr als 150 Fragen umfasst, die wir mit dem Unternehmen klären, bevor wir wissen, welche Anbieter überhaupt in die Vorauswahl kommen. Daher kann ich an dieser Stelle nur eine kleine Auswahl der wichtigsten nennen. Das Unternehmen sollte sich vor allem überlegen, ob es das Monitoring komplett alleine im Unternehmen einsetzen und anwenden möchte, oder ob diese Tätigkeiten vollständig von einem Dienstleister übernommen werden sollen. Je nach dem fällt die Entscheidung eher auf die Klasse der Self-Service-Tools oder eben auf die Full-Service-Anbieter. Zudem spielt auch die Brandbreite der Einsatzfelder eine wichtige Rolle. Soll das Tool nicht nur die Gespräche und Beiträge im Social Web erfassen, sondern darüber hinaus auch Performance-Kennzahlen der eigenen Facebook-Seite oder anderer eigener Social Media Kanäle erheben? Und sollen mit dem Tool im Team auch gleichzeitig die Social Media Beiträge beantwortet werden? Auch hier unterscheiden sich die Tools sehr stark im Funktionsumfang. Um die Kriterien zu systematisieren, haben wir sie entlang des Monitoring-Prozesses strukturiert. Das heißt, man sollte sich – angefangen  von der Datenerhebung über die Datenaufbereitung bis hin zur Datenauswertung – Gedanken machen, welche Anforderungen man hier an das Tool stellen möchte.

cc.de: Was sind die aktuellen Trends in der Monitoring-Branche? Sehen Sie internationale Unterschiede?

Anna-Maria Zahn: Wir sehen einen Trend hin zur Verknüpfung der Social Media Monitoring Daten mit anderen Daten, die das Unternehmen erhebt, denn auf diese Weise entsteht ein erheblicher Mehrwert. Weiß man beispielsweise dass eine Steigerung der positiven Nennungen zum Produkt auch eine Erhöhung der Verkaufszahlen nach sich zieht, kann man das Monitoring auch für Prognoseanalyse zu den Absatzzahlen einsetzen. Hier trifft das Thema Social Media Monitoring dann auch ein weiteres großes Buzzword, nämlich Big Data. Nur mittels Big Data Analysen lassen sich solche Analysen, für diese sehr große Datenmengen in sehr schneller Geschwindigkeit aus unterschiedlichen Quellen verarbeitet werden müssen, durchführen.
Ein weiterer Trend der eng mit der Verknüpfung der Daten zusammenhängt, ist die Integration weiterer Kennzahlen in klassische Monitoring-Lösungen. So bieten immer mehr Monitoring-Tools nun auch Social Media Analytics-Funktionalitäten, wie die Auswertung der Facebook-Insightswerte der eigenen Fanpage, an. Damit reagieren die Anbieter auf den Ruf der Kunden nach einer umfassenden All-In-One-Lösung, die es ermöglicht mit einem Tool einen kompletten Überblick über alle wichtigen Kennzahlen im Social Web zu erhalten. Gleichzeitig sollen die Lösungen auch den Social Media Dialog und die Aussteuerung eigener Beiträge unterstützen.
Zum Schluss möchte ich noch den Trend zur Flexibilisierung der Tools nennen. Heute kann der Anwender viel mehr selber im Monitoring-Tool gestalten, als noch vor zwei, drei Jahren. Flexible Dashboards ermöglichen es die unterschiedlichen Informationsbedürfnisse verschiedener Anwender im Unternehmen gerecht zu werden.
International existieren durch die unterschiedliche Verbreitung von Social Media in der Online-Bevölkerung durchaus große Unterschiede bei der Anwendung von Social Media Monitoring Lösungen. Bezogen auf die Trends gehen die Bedürfnisse aus unserer Sicht aber überall in eine ähnliche Richtung. Die Daten sollen umfassender, schneller und intelligenter auswertbar sein.  

cc.de: Vielen Dank für das Gespräch!


Über Anna-Maria Zahn

Anna-Maria Zahn verantwortet als Director Social Media Research die fachliche Leitung des Social Media Forschungs- und Beratungsinstitut ForschungsWeb. Zuvor war sie Teamleiterin und Key-Account-Managerin bei der Business Intelligence Group. Die Kommunikationswissenschaftlerin ist seit 2009 im Bundesverband der Digitalen Wirtschaft (BVDW) aktiv und leitet die 2014 neu gegründete BVDW Initiative Analytics and Monitoring.


--> zurück zu Praxiswissen.


deutsch english

Eine Initiative von:

Werbung